Vor einigen Monaten erzählte eine Klientin, die bei mir an einer Führungskräftesupervision im Raum Hamburg teilnimmt, von einem neuen Mann in ihrem Leben. Frau L. hatte sich vor ein paar Monaten von ihrem Mann getrennt und nun gab es da einen offenbar vielversprechenden Kandidaten. Sie kenne ihn noch nicht besonders gut, habe aber das Gefühl, einen wirklich bereichernden Menschen getroffen zu haben. Er sehe vieles ganz anders als sie und eröffne ihr vollkommen neue Blickwinkel.
Danach erzählte Frau L. immer mal wieder von der tollen neuen Beziehung und wie gut es sich mit Bernd entwickele. Nur in den letzten Wochen sprach sie kaum noch über ihn. So entschied ich mich, einmal nachzufragen. „Das ist gerade ein schwieriges Thema“, war ihre spontane Reaktion. In der letzten Zeit stellten sie zunehmend Gegensätze beieinander fest und das verunsichere sie sehr. „Wenn wir zu einer Feier eingeladen sind, freut er sich auf den geselligen Abend und genießt die Feier dann auch. Er tanzt gerne und ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Und er kommt schnell mit fremden Leuten in Kontakt. Ich dagegen bin gerne mit mir oder auch mit ihm allein.“ Auch in Bezug auf die Arbeit seien sie sehr unterschiedlich, fuhr Frau L. fort. Sie arbeite gerne und vertiefe sich auch zu Hause mit Vergnügen in Fachzeitschriften und Fachliteratur, um für den Beruf dazuzulernen. Bernd hingegen arbeite nur, wenn es ihm unbedingt nötig erscheint. Für ihn sei es wichtiger, das Leben zu genießen.
„So gibt es noch viele Unterschiede, die inzwischen beinahe täglich zum Streit führen. Aber selbst in der Bewertung dessen sind wir unterschiedlich!“, fügte sie mit zunehmend verzweifelter Stimme hinzu. Während sie verunsichert sei und die Auseinandersetzungen manchmal anstrengend finde, behaupte Bernd, so etwas gehöre zu einer Beziehung eben dazu. Von ihrer besten Freundin (die Bernd bisher noch nicht gesehen habe) und sogar von ihrem Vater finde sie ihre Zweifel bestätigt. „Mein Vater meint, Bernd tut mir nicht gut und meine Freundin bedauert mich für diese anstrengende Liebe“. Aber mein Herz schlägt doch nach wie vor eindeutig für Bernd! Sie sind doch auch Paartherapeut Herr Wulff, was halten Sie von einer Beziehung, die solche Gegensätze zu vereinbaren sucht? Hat es überhaupt Sinn, das zu versuchen? Was sagen Sie?“
Ja, dazu habe ich etwas zu sagen. Meiner Ansicht nach gibt es genau zwei Mechanismen, nach denen Paare zueinander finden. In meiner langjährigen Praxis als Psychotherapeut und vor allem als Paar- und Familientherapeut hat sich das immer wieder bestätigt. Paare finden zusammen, weil sie entweder durch die Andersartigkeit des anderen angezogen werden, oder weil sie viele grundsätzliche Gemeinsamkeiten bei sich entdecken. Anders gesagt: Die einen finden zueinander nach dem Grundsatz ‚Gleich und Gleich gesellt sich gern.‘, die anderen treffen sich nach dem Grundsatz ‚Gegensätze ziehen sich an.“ Ich glaube nicht, dass es einen besseren oder einen schlechteren unter diesen Hintergründen für eine Verbindung gibt.
Bei ersteren werden eher die Harmonie und ein gewisser Gleichklang den Beziehungsalltag bestimmen. Die Partner finden sich immer wieder voneinander bestätigt. In grundlegenden Dingen denken sie oft gleich oder ähnlich. Sie können sich vielmehr miteinander über das eine oder andere ereifern, als dass sie Anlass zum Streiten sehen. Letztere, die Gegensätzler, finden sich schnell in einer sehr lebendigen und dynamischen Beziehung wieder. Sie treffen immer wieder auf eine ganz andere Ansicht des Partners. Es gibt viel zu streiten oder zumindest doch viel Anlass zur Auseinandersetzung. In solchen Partnerschaften ist der Beziehungsalltag durch ein ständiges Auf und Ab gekennzeichnet.
Als Paar-Berater erlebe ich diese beiden Arten von Beziehungen insbesondere dann, wenn die Paare sich in der Krise befinden. Und auch da gibt es ganz typische Muster. Gleich und gleich kommen sehr häufig, weil das Feuer der Liebe erloschen ist. Oft ging eine lange Zeit ertragene Langeweile voraus. Sehr häufig hat die Suche nach neuen Impulsen, die im Inneren der Partnerschaft erfolglos bleiben musste, außerhalb der Beziehung zu einem zweifelhaften Erfolg geführt. Gegenseitige Kränkungen sind die Folge. Die Paare sind an diesem Punkt eher später angelangt, nachdem sie oft mehr als 15 Jahre bestehen. Die Bereitschaft, die Partnerschaft für ein ungewisses Anderes loszulassen, ist klein. Das Paar sucht professionelle Hilfe.
Ganz anders bei ‚Gegensätze ziehen sich an‘: Wenn diese Paare nach professioneller Hilfe suchen, dann meist nach langen erfolglosen Auseinandersetzungen. Es gibt zwar immer noch die „Hoch-Phasen“, in denen das Feuer der Liebe wieder aufflammt, aber diese Phasen sind seltener und kürzer geworden. Die Streitsituationen haben zugenommen. Worum es in den Streits ging, können die Partner manchmal hinterher gar nicht sagen, „Wir sind einfach zu gegensätzlich.“, höre ich die enttäuschten Partner oft sagen. Nichts könne er einfach mal so hinnehmen. Wegen allem und jedem müsse sie Streit anfangen. Einigungen und Kompromisse scheinen nie ohne einen enormen Kraftakt verhandelbar zu sein. Beide sind mit ihren Energien und der Bereitschaft, sie für die Partnerschaft einzusetzen, am Ende.
Wie kann der Paartherapeut nun helfen? Natürlich ist jede Beratung, jedes Coaching eines Paares ein ganz individueller Prozess. Keine Beratung verläuft wie die andere, die Wege zum Ziel sind so vielfältig wie die Paare. Dennoch war während meiner Arbeit mit ihnen ein grundlegender Gedanke immer wieder hilfreich:
Den Gleichen fehlt es an Impulsen zur Belebung ihrer Partnerschaft. Sie haben nicht genug Anregung in ihrem Partner. Die Partnerin hat zu oft den gleichen Gedanken, den gleichen Handlungsimpuls wie er. Das gute Gefühl, einen Seelenverwandten im anderen gefunden zu haben, weicht der ernüchternden Erkenntnis, dass Eintönigkeit das Grundelement der Partnerschaft geworden ist oder zu werden droht. Helfen kann ich solchen Paaren dann am besten, wenn diese Erkenntnis nicht zu einer Lähmung führt bzw. diese überwunden werden kann. Diese Paare benötigen ihre belebenden Impulse von außen. Das kann in vielfältiger Weise geschehen: durch ein gemeinsames Hobby, die geteilte Lust, exotische Länder zu bereisen, oder zwei große Freundeskreise mit einer ausreichenden Schnittmenge. Bei vielen Paaren ist Trennung hilfreich. Natürlich nicht die Trennung des Paares voneinander. Das ist grundsätzlich nicht der Auftrag eines Paartherapeuten. Nein, vielmehr geht es hier um eine „Trennung“ innerhalb der Partnerschaft. Die beiden können sich ganz bewusst dazu entscheiden, Hobbys, berufliche Wege oder Reisen ohne den anderen zu machen. Solche Alleingänge bereichern den Einzelnen. Sie kann dann von einem Volleyballabend oder einer Reise nach Indien heimkehren und die dringend erforderlichen Impulse von außen in die Partnerschaft tragen. Er kann von einem Herrenabend, seinem Literaturkreis oder einer Angeltour zurückkehren und seinerseits Impulse mit nach Hause und in die Beziehung tragen. Die gemeinsame ‚Auswertung‘ ist dann ja mit großer Wahrscheinlichkeit getragen von dem Interesse des anderen und geprägt von der ihnen eigenen Einvernehmlichkeit.
Die Gegensätzler hingegen haben die Idee der Bereicherung und das Interesse an fremden Gedanken und Impulsen verloren. Die Lust an der Unterschiedlichkeit, die beide vor Zeiten zusammengebracht hat, ist meist einem Widerstand gegen das Verhalten und Denken des Anderen gewichen. Oder sie ist dem anstrengenden Bemühen zum Opfer gefallen, die Partnerin vom eigenen „besseren“ Weg zu überzeugen. So geraten diese Paare auch bei Kleinigkeiten oft in einen grundsätzlichen Streit. Sie können sich einfach nicht einigen, denn es geht mehr und mehr nur noch darum, sich nicht aufgeben zu wollen. Der Erhalt der eigenen Art scheint wichtiger zu sein, als bei dem Streitthema zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Interessanterweise ist auch hier oft Trennung die Lösung. Auch hier geht es darum, innerhalb des Paares für jeden einen eigenständigen Raum mit eigenen Grenzen zu schaffen. Wenn sich die beiden nicht einigen können, ob klassische Musik oder Heavy Metal, können sie sich entscheiden, jeder auf sein eigenes Konzert zu gehen. Es geht hier darum, die Grundlage dafür zu schaffen, dass die Andersartigkeit des Partners nicht zu einer Behinderung wird. Dazu ist Abstand notwendig. Sie muss ihren Impulsen folgen dürfen, mit der Mutter zu einem Schlagerfestival zu gehen, während er mit Schlagern wenig anfangen kann und seine Eltern gerne nur zu Weihnachten und zu Geburtstagen sieht.
Trennung und Eigenständigkeit in der Partnerschaft scheint für moderne Paare allenthalben eine Lösung zu sein. Den einen verschafft sie den Raum für wichtige äußere Impulse und hilft, zu ihrer Harmonie zurückzufinden, ohne in Gleichem und Langeweile zu ertrinken. Den anderen verschafft sie einen Raum, in dem die Andersartigkeit des Partners und seiner Welt wieder als bereichernd erlebt werden kann.
Zurück zu Frau L.: Im Kontext unserer Führungskräftesupervision in der Region Hamburg entschied ich, ihrer Bitte um meine Meinung zu ihrer neuen Beziehung nur kurz nachzukommen. Ich skizzierte ihr die verschiedenen Arten von Partnerschaften und meinen Eindruck, dass sie ihren Bernd als Gegenstück und Bereicherung zu ihrer eigenen Art kennengelernt habe und zu lieben scheint. In der noch jungen Partnerschaft ist offensichtlich noch genug Raum für andersartige Impulse und ausreichend Offenheit, diese als Bereicherung zu schätzen. Frau L. erklärte mir daraufhin, sie habe bisher keine Erfahrung mit Partnerschaften, die nach dem Prinzip ‚ Gegensätze ziehen sich an‘ funktionieren. Durch meine Worte könne sie nun wieder klar sehen und spüren, was sie an Bernd so schätze und liebe. Es sei doch gerade die Tatsache, dass er die Dinge so anders sieht, dass er vieles anders tut als sie es gewohnt ist und tun würde. Vor diesem Hintergrund werde sie die Auseinandersetzungen eher als Ausdruck einer „liebevollen Verbundenheit in der Unterschiedlichkeit“ sehen können statt als erste Hinweise auf ein mögliches Scheitern ihrer Liebe. Sie wolle nach unserem Gespräch aufpassen, diese Einsicht nicht wieder zu verlieren. Auch habe sie vor, Bernd von diesen Überlegungen zu erzählen. Das halte ich für eine gute Idee. Auch mit ihrem Vater und ihrer Münchner Freundin, von denen sie sich in den letzten Wochen habe verunsichern lassen, wolle sie über ihre neuen Einsichten zu ihrer Partnerschaft sprechen.