Ein Fall aus Hamburg: Workoholic – Beziehungskiller mit Geschichte (Teil 2)

Fortsetzung des ersten Teils aus der Beratungspraxis von Torsten Wulff

Vor einiger Zeit habe ich auf diesem Blog vom Beginn des Beratungsprozesses mit Herrn J. berichtet. Herr J. war inmitten einer ernsthaften Ehekrise und der erschöpfenden Abschlussphase eines großen Verkaufsprojekts zu mir gekommen. Seine Frau Karin war nicht mehr bereit, das Überengagement ihres Mannes im Beruf mit zu tragen und Abende und Wochenenden überwiegend allein zu verbringen. Im Erstgespräch mit Herrn J. war die Vermutung entstanden, dass sein heute übertriebenes Engagement am Arbeitsplatz zu einem früheren Zeitpunkt in seinem Leben einen positiven Sinn gehabt haben könnte. Und Herr J. hatte geäußert, dazu eine Idee zu haben. Als wir zwei Wochen nach unserem Erstgespräch wieder in meiner Praxis in Hamburg zusammensitzen, legt er einen kleinen Stapel Papier auf den Tisch. Meiner Empfehlung folgend hatte er alles aufgeschrieben, was ihm zu unserer Frage eingefallen ist. Ich bin sehr gespannt darauf. Bevor ich mich dem Geschriebenen aber zuwende, möchte ich wissen, wie sich in der Zwischenzeit die Beziehung zu seiner Frau Karin und die Situation an seinem Arbeitsplatz weiterentwickelt hat.

Sofort sehe ich, wie Herr J. gleichsam in sich zusammenfällt. Offensichtlich hat keine positive oder entlastende Entwicklung eingesetzt. Trotz seiner Versuche, die Ehe durch häufigere Anwesenheit zu Hause zu retten, gab es mehr und mehr Streit zwischen ihm und Karin – so lässt sich der Bericht von Herrn J. zusammenfassen. Immer sei es um seine nach wie vor exorbitant langen Arbeitszeiten und sein fehlendes Interesse am gemeinsamen Privatleben gegangen. Seine Frau spürte, dass er seinem Versprechen, mehr Zeit zu Hause zu verbringen, eher widerwillig folgte. Tatsächlich hat er sich während gemeinsamer Spaziergänge oder Stunden auf dem Sofa fast ununterbrochen Sorgen gemacht, das Projekt nicht fristgerecht abschließen zu können. Das habe er dann allerdings doch geschafft. Und bei der Feier zum großen Verkaufsabschluss seien er und sein Team in den höchsten Tönen gelobt worden, sowohl von den Geschäftsführern seiner eigenen Firma als auch von der Firmenleitung des Kunden. Allerdings, so, wie Herr J. davon erzählt, scheint mir seine Freude und Erleichterung über den großen Erfolg recht verhalten zu sein – als stehe er noch unter einem ganz anderen Eindruck. Weiterlesen

„Workoholic“ – Beziehungskiller mit Geschichte

Ein realer Fall aus der Beratungspraxis von Torsten Wulff

Frau J., eine ehemalige Kundin, ruft mich in meiner Sprechzeit an, um mit mir über ihren Ehemann zu sprechen. Die Frau hat vor zwei Jahren ihren Partner geheiratet, von dem sie bereits in unserer Beratung vor sechs Jahren begeistert gesprochen hatte. Ich weiß noch, wie sehr ihr damals der Fleiß und die Zielstrebigkeit des Mannes, in den sie sich neu verliebt hatte, imponiert hatte. Im Laufe unseres Telefonates wird schnell klar, dass genau diese Eigenschaften mittlerweile zu einem Problem für die Beziehung geworden sind. Frau L. erzählt mir, dass sie nicht mehr ein noch aus weiß und sich immer häufiger der Gedanke an Trennung aufdrängt. Ihr Mann kenne nur seine Arbeit und die Nöte seiner Mitarbeiter. Für ihre Nöte, geschweige denn schöne Stunden zu zweit, habe er überhaupt keine Zeit. Kurz nach der Hochzeit sei ihr Mann, anerkannter Experte für Feststoffpumpen in der Region Hamburg, aus der Entwicklung in den Vertrieb gegangen, um kurze Zeit später als Vertriebschef die Verantwortung für insgesamt elf Mitarbeiter zu übernehmen. Sein persönlicher Aufgabenbereich lag seitdem im „after sales“: er umfasste die Betreuung der Großkunden und deren Beratung vor allem in technischen und planerischen Fragen.

Ich erinnere mich, dass  Frau J. den neuen Mann an ihrer Seite schon vor sechs Jahren als Workoholic bezeichnet hatte, damals allerdings noch mit einem wohlwollenden  Augenzwinkern. Inzwischen, so entnehme ich ihren Worten, war dieses  wohlwollende Verständnis Ratlosigkeit und Enttäuschung gewichen. Seine neue Aufgabe  habe ihn von Beginn an bis heute in ein extremes Arbeitspensum von 70 Wochenstunden und mehr getrieben. Anders als in den ersten Wochen und Monaten, in denen Frau J. durchaus Verständnis hatte und auf gemeinsame Abende und Wochenenden verzichtete, war nun ihre Geduld und Bereitschaft, die vielen Überstunden zu entschuldigen, aufgebraucht. „Ich habe das Gefühl, er hat sein Interesse an mir und unserer gemeinsamen Zukunft vollkommen verloren.  Eigentlich wollten wir doch noch Kinder haben. Aber darüber kann ich schon seit Monaten mit ihm nicht sprechen. Für Sex ist er sowieso immer zu müde“, beklagt sich Frau J.. Sie bittet mich – im Auftrage ihres Mannes – um eine Beratung für ihn. Er habe sie darum gebeten, als sie in der letzten Woche ernsthaft von einer möglichen Trennung gesprochen hatte.

Zum Erstgespräch in meiner Familienberatungs- und Coachingpraxis in Hamburg erscheint Herr J. recht niedergeschlagen. Seine Frau habe, nach einem Streit neulich ernste Trennungsabsichten bekundet. Herr J. wirkt bestürzt. „Ich bin so heftig in den Abschluss eines großen Verkaufsprojektes eingebunden und eigentlich so erschöpft. Und jetzt das noch. Ich kann mich damit eigentlich gar nicht beschäftigen im Moment. Ich will nicht, dass meine Ehe in die Brüche geht. Aber gerade jetzt kann ich ihre Forderung, früher nach Hause zu kommen, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, nicht erfüllen. Ich kann meine Mitarbeiter mit dem Projektabschluss doch jetzt nicht allein lassen. Ich weiß keinen Rat. Herr Wulff, was soll ich tun?“

Ich antworte, dass ich ihm im Laufe einer Beratung helfen kann, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Bevor ich ihm aber ein Angebot zur Vorgehensweise machen kann, beschäftigen mich noch einige Fragen. Zunächst interessiert mich, ob es Phasen in seiner Partnerschaft mit Frau J. gab, in denen er mehr Zeit mit ihr verbracht hat. Weiterlesen

Lieblose Mütter – undankbare Kinder?

Frau S., eine Frau Mitte 40, erscheint nach einem kurzen Vorgespräch am Telefon in meiner Praxis. Es gehe um Ihre Mutter, hatte sie angekündigt. Ihre Verzweiflung war deutlich herauszuhören. Alles, was sie sich in den letzten Jahren an Abstand zur Mutter aufgebaut hatte, sei zunichte gemacht geworden. Nun sitzt sie vor mir und macht einen sehr entmutigten Eindruck. Sie habe schon überlegt, diesen Termin abzusagen. Denn eigentlich glaube sie nicht, dass ich ihr helfen kann: Zeitlebens sei die Beziehung zu ihrer Mutter schlecht gewesen. In den letzten Jahren habe sie sich aber gut abgrenzen können. Gegen den teilweise erheblichen Widerstand der Mutter habe sie den Kontakt auf ein für sie vertretbares Maß reduziert. Nun aber, mit dem Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter, sei sie in alte Muster zurückgerutscht. Trotz der im Grunde harmlosen Operation, die anstand, habe sie sich verpflichtet gefühlt, die eigentlich doch rüstige Dame ins Krankenhaus zu begleiten. Und obwohl die Operation gut verlaufen sei, habe sie eine Woche lang täglich einige Stunden bei ihr im Krankenhaus zugebracht – viele Stunden voller Klagen der Mutter über die schlechte Versorgung dort und über die Schmerzen, auf die die Ärzte keine Rücksicht nehmen würden. Mittlerweile liege ihre Entlassung schon einige Wochen zurück, aber an dem schlechten Erholungszustand der Mutter ändere sich nichts. Gegen die Erwartung von täglicher Fürsorge habe sich Frau S. bisher gewehrt. Allerdings besuche sie die alte Dame mindestens vier mal in der Woche, wasche für sie und mache den kompletten Einkauf.

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„Gegensätze ziehen sich an!“ oder „Gleich und Gleich gesellt sich gern!“

Vor einigen Monaten erzählte eine Klientin, die bei mir an einer Führungskräftesupervision im Raum Hamburg teilnimmt, von einem neuen Mann in ihrem Leben. Frau L. hatte sich vor ein paar Monaten von ihrem Mann getrennt und nun gab es da einen offenbar vielversprechenden Kandidaten. Sie kenne ihn noch nicht besonders gut, habe aber das Gefühl, einen wirklich bereichernden Menschen getroffen zu haben. Er sehe vieles ganz anders als sie und eröffne ihr vollkommen neue Blickwinkel.

Danach erzählte Frau L. immer mal wieder von der tollen neuen Beziehung und wie gut es sich mit Bernd entwickele. Nur in den letzten Wochen sprach sie kaum noch über ihn. So entschied ich mich, einmal nachzufragen. „Das ist gerade ein schwieriges Thema“, war ihre spontane Reaktion. In der letzten Zeit stellten sie zunehmend Gegensätze beieinander fest und das verunsichere sie sehr. „Wenn wir zu einer Feier eingeladen sind, freut er sich auf den geselligen Abend und genießt die Feier dann auch. Er tanzt gerne und ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Und er kommt schnell mit fremden Leuten in Kontakt. Ich dagegen bin gerne mit mir oder auch mit ihm allein.“ Auch in Bezug auf die Arbeit seien sie sehr unterschiedlich, fuhr Frau L. fort. Sie arbeite gerne und vertiefe sich auch zu Hause mit Vergnügen in Fachzeitschriften und Fachliteratur, um für den Beruf dazuzulernen. Bernd hingegen arbeite nur, wenn es ihm unbedingt nötig erscheint. Für ihn sei es wichtiger, das Leben zu genießen.

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Dipl.-Psychologe Torsten Wulff: Wenn Wünsche und Abneigungen keinen Ausdruck finden, zerstören innere Konflikte deine Beziehungen

Markus D. ist seit 4 Jahren mit seiner Partnerin zusammen. Erst seitdem gehe es ihm richtig gut, sagt er. In den letzten Monaten jedoch ist etwas sehr Merkwürdiges passiert: Er hat Ekelgefühle gegen bestimmte Geräusche seiner Partnerin entwickelt. Im Besonderen kann er nicht aushalten, ihr beim Essen ‚zuzuhören‘. Dabei esse sie überhaupt nicht unappetitlich. Aber schon die geringsten Kaugeräusche veranlassten unüberwindbare Abneigung, erzählt Markus D. in einem ersten Gespräch mit mir als Paar- und Familientherapeuten. Mittlerweile müsse er des Öfteren den Tisch verlassen, weil er es nicht mehr aushalte. Natürlich könne er seiner Partnerin nicht die Wahrheit sagen, und deshalb entstünden auch bei ihr Irritationen. In den letzten Wochen sei er deshalb immer öfter länger auf der Arbeit um zum Essen nicht zu Hause sein zu müssen.

Nicht selten machen Menschen für sie so unerklärliche Erfahrungen in ihrer Beziehung wie Markus D. Die meisten glauben, mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin über das Störgefühl nicht sprechen zu können. Bei so Manchem setzt sich irgendwann der Gedanke fest, das Störgefühl sei Symptom für das Absterben der Liebe. Andere halten es lange aus, ohne zu merken, wie dabei das Feuer tatsächlich erlischt.

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